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Die Erben des Odysseus

„Sag mal – bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“

Mein Mann stellt das Handköfferchen ab, das er die ganze Zeit hinter sich her gezerrt hat, richtet sich auf und reibt sich das schmerzende Kreuz.

„Zumindest sind wir auf dem Weg in die Innenstadt.“ Hinter der Brücke, die wir gerade überquert haben, sehe ich einen Wegweiser mit der Aufschrift „Karstadt“, der nach rechts zeigt. Ganz in der Nähe muss das Café sein, in dem ich heute – zusammen mit einer Kollegin – eine Autorenlesung halten soll.

Seufzend tappen wir weiter. Es nieselt, ist kalt und ungemütlich. Hätte ich geahnt, was das für eine Irrfahrt werden würde – ich glaube, ich hätte mich für diesen Auftritt nicht gemeldet!

Das ganze Unterfangen stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Eigentlich hatten wir mit dem Zug fahren wollen. Wenn – ja, wenn ich es geschafft hätte, entsprechende Fahrkarten zu organisieren …

Aber das Internet kann mich nicht leiden. Auch die Bahn nicht, und schon gar nicht die VGN. Ich will Ihnen die Einzelheiten lieber ersparen, die mich eine Million Nerven gekostet und uns letzten Endes veranlasst haben, doch das Auto zu nehmen.

Tja, Und nun sind wir da, unser fahrbarer Untersatz steht gegenüber dem Main-Donau-Kanal in einem Parkhaus,  und wir suchen das Hofcafé …

Keine Ahnung, warum das so heißt. Vielleicht, weil in der Stadt früher irgendwelche königlichen Hoheiten residiert haben. Oder weil man im Innenhof bei schönem Wetter draußen Kaffee trinken kann …

Vorerst tun mir die Füße weh. Obwohl ich bequeme Schuhe anhabe. Aber auf Kopfsteinpflaster zu laufen ist kein Vergnügen. Der Handkoffer, in dem ich meine Bücher transportiere, scheppert laut. Aufs Klo muss ich auch, und das dringend!

Nachdem uns ein ortskundiges Ehepaar endlich auf den richtigen Weg gebracht hat, finden wir immerhin das Karstadt-Kaufhaus. Da gibt es Toiletten. Rigoros marschiere ich hinein, meinen Gatten im Schlepptau. Im zweiten Stock finde ich endlich, was ich so dringend brauche ...

Sichtlich erleichtert komme ich zurück und wir machen uns wieder auf die Suche.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass einer von uns in seiner Ahnengalerie ein paar Nachkommen von Odysseus, dem Seefahrer hatte. Sie wissen schon, das ist der Held aus der griechischen Sage, der nach dem Trojanischen Krieg zehn Jahre brauchte, um wieder nach Hause zu kommen. So lange brauchen wir hoffentlich nicht!

Eigentlich hätte ich gerne mal wieder das berühmte „Alte Rathaus“ von Bamberg gesehen und die Brücke, die der Stadt den Namen „Klein-Venedig“ eingebracht hat. Leider ist jetzt erst einmal etwas anderes wichtig: Wir haben Hunger.

Straßencafés gibt es hier reichlich. Auch Gaststätten und Imbissbuden. Wir steuern irgendein Café an (das richtige haben wir immer noch nicht entdeckt), und stärken uns mit Kaffee und Kuchen, bevor wir weitertigern.

Ein Glück, dass wir sehr früh losgefahren sind – eben weil wir auch noch ein bisschen „Sightseeing“ betreiben wollten. Wäre nur das Wetter nicht gar so ungemütlich …

So vertreiben wir uns die Zeit in verschiedenen Geschäften, bummeln ziellos durch die Fußgängerzone und finden irgendwann ganz zufällig doch noch das Wahrzeichen von Bamberg – das Alte Rathaus.

Heute halten sich die Touristenmassen in Grenzen, obwohl noch Osterferien sind. Aber es ist auch schon später Nachmittag, und die meisten Busse vermutlich schon auf der Rückfahrt. Ich kriege sogar ein paar Fotos in den Kasten, auf denen keine Köpfe zu sehen sind. Allerdings – ein bisschen Sonne hätte die bunten Farben sicher noch mehr leuchten lassen!

Es wimmelt in der Stadt von Studenten und die kennen hier alle einschlägigen Lokale. Obendrein sind sie alle sehr nett und freundlich und zeigen uns endlich den Weg zu unserem Ziel. Welche Überraschung – es ist nur ein paar hundert Meter von der Rathausbrücke entfernt …

Wir sind die ersten und dürfen im Nebenzimmer Platz nehmen, in dem später die Lesung stattfinden wird. Gott sei Dank – endlich hinsetzen, ein Getränk hingestellt kriegen und ein bisschen ausruhen! Wir sind halt doch nicht mehr die Jüngsten ... Wobei – meine Gehwerkzeuge sind bei Weitem nicht mehr so intakt wie die von meinem Gatten, obwohl er mir an Jahren einiges voraus hat. Aber seine Beine müssen ja auch nicht fünfzehn Kilo Übergewicht schleppen.

Die Zeit vergeht. Es wird halb sechs, dann zwanzig vor. Noch immer niemand da. Weder meine Autorenkollegin noch irgendein Zuhörer.

Ich fange allmählich an zu zweifeln, ob ich mich im Lokal, beim Datum oder in der Uhrzeit geirrt habe. In letzter Zeit kommt so was schon ab und an vor. Kein Wunder bei dem Stress – im letzten halben Jahr haben sich anscheinend alle Termine zusammengepfercht, die dank Corona in den vergangenen drei Jahren ausgefallen sind. Sicherheitshalber schaue ich noch mal auf mein Handy – aber es stimmt alles. An mir liegt es diesmal also nicht!

Die Holztür öffnet sich knarzend. Hurra, es treffen zwei Zuhörerinnen ein! Kurz danach kommt meine Kollegin mit ihrer Familie, danach noch andere Neugierige.

Wir müssen unseren „Lesetisch“ vorbereiten und greifen einfach zur Selbsthilfe. Zack, wird ein Tischchen nach vorne gerückt, unsere Manuskripte darauf ausgebreitet und dann in die Kamera gelächelt. Der Kollege, der die Lesung hier organisiert hat, schreibt gelegentlich auch für die örtliche Zeitung. Hoffentlich habe ich nicht wieder gar so dämlich geglotzt!

Die Lesung macht Spaß, die Zuhörer geizen nicht mit Applaus. Das Brot des Künstlers – das ist es, was einen immer wieder dazu bringt, den ganzen Stress auf sich zu nehmen.

Nachdem die Lesung zu Ende ist, ratschen wir noch ein bisschen mit den Anwesenden. Aber dann hat mein Göttergatte es eilig. Wir haben noch eine knappe Stunde bis nach Hause und es wird nicht mehr lange dauern, bis es dunkel wird.

Hektisch raffe ich meine Bücher, Flyer und was sonst noch so von mir rumliegt, zusammen, stopfe alles in das Köfferchen, renne schnell noch mal zur Toilette. Wer weiß, wie lange es dauert, bis wir unser Auto wiedergefunden haben! Eine weise Entscheidung ...

Wir verabschieden uns eilig und flitzen los. Mein Mann weiß, wie wir zum Parkhaus kommen. Immer runter Richtung Wasser, über die Brücke und dann sind wir da …

Schön wär’s!

Es gibt da ein Lied mit dem Titel „Über sieben Brücken musst du geh’n“ … Also, wenn wir die zählen, die wir doppelt gelaufen sind, weil wir wieder umkehren mussten, sind es gefühlt mindestens siebzig!

Kurz und gut: Hätte nicht nach x-maligem Fragen ein netter Student uns mit Hilfe seines Handys den richtigen Weg gewiesen – wir würden heute noch suchen …

Immerhin weiß ich jetzt, in wessen Ahnengalerie sind die Nachkommen des Odysseus getummelt haben müssen!

Dass ich in der Hektik mein Handy im Café liegen gelassen habe, die Parkgebühr mein Honorar restlos aufgefressen hat und es den größten Teil des Heimwegs in Strömen geregnet hat, sei nur nebenbei erwähnt …

 

 

 

© Christine Rieger / 2023

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Kommentare: 2
  • #1

    Christa Luise Anna Bellanova (Samstag, 22 April 2023 11:13)

    Köstliche humorvolle Beschreibung....



  • #2

    Christine Rieger (Samstag, 22 April 2023 16:41)

    Vielen herzlichen Dank, liebe Christa - für Deinen Besuch und Deinen Kommentar!
    Ich freue mich, dass Dir mein "Reisebericht" gefallen hat.
    Herzliche Grüße
    Christine