Dies ist meine erste Geschichte für den "Schreibkick",
ins Leben gerufen von von Sabi Lianne
Und hier geht es zu den Geschichten der anderen Schreibkick-Teilnehmer:
Foto © Christine Rieger
Novembertag
„Ein Wetter ist das heute – einfach scheußlich!“ Missbilligend starrt Wolfgang durch das Fenster, an dem der Regen schon seit dem frühen Morgen wie ein Sturzbach hinunterläuft. Es ist eisig kalt geworden, und obendrein weht ein heftiger Sturm, der einem das Gefühl gibt, am Nordpol zu Hause zu sein.
„Was willst Du – wir haben schließlich November, da ist das ganz normal“, stellt seine Frau gleichmütig fest.
„Ich hasse es trotzdem!“, schimpft Wolfgang. „Nichts kann man machen – weder Wandern noch eine Radtour, im Garten kann man auch nicht arbeiten, und selbst zum Shopping hat man keine Lust!“
„Zum Shoppen hast du doch nie Lust – da kann das Wetter noch so schön sein“, bemerkt Marietta trocken.
„Ja, aber was soll man denn den ganzen Tag machen, wenn man nicht raus kann?“ „Och – da gäbe es viele Möglichkeiten“, meint Marietta. Man könnte zum Beispiel den Keller aufräumen – der hätte es bitter nötig. Die Fahrräder passen doch kaum noch rein. Oder man könnte mal seine ganzen Papiere ordnen, bevor der Schreibtisch zusammenbricht und der Laptop unter dem ganzen Wust nicht mehr auffindbar ist. Man könnte aber auch das längst versprochene Bücherregal bauen. Unsere Bücher stapeln sich im Gästezimmer schon fast bis zur Decke.“
„Ist ja gut, ich gehe ja schon, bevor Madame noch mehr Arbeit einfällt, die sie mir aufhalsen kann“, knurrt Wolfgang.
„Na, du hast dich doch beschwert, dass du nicht weißt, was du mit dir anfangen sollst“, stellt Marietta fest. „Ich habe dir lediglich Vorschläge gemacht, was du gegen Deine Langeweile tun könntest!“
Das aber hört Wolfgang schon nicht mehr. Brummend entfernt er sich. Einige Zeit später hört Marietta ihren Mann im Keller rumoren.
Befriedigt geht sie zu der großen Schublade, in der sie ihr Nähzeug und die reparaturbedürftigen Kleidungsstücke aufbewahrt. Sie nimmt den Stapel heraus, etabliert sich damit auf der Couch und legt eine CD mit ihrer Lieblingsmusik ein. Wolfgang hasst Country-Music, die kann sie immer nur hören, wenn er nicht da ist.
Johnny Cash beginnt zu singen. Sie dreht die Musik lauter, um die Regentropfen zu übertönen, die nach wie vor an die Fensterscheibe hämmern, und zerrt ihr Lieblings-T-Shirt aus dem Stapel. Der Halsausschnitt ist zerfranst, und während sie sie bemüht, den Schaden mit Hilfe eines Paillettenbandes zu reparieren, geht ihr die Frage durch den Kopf, wieso eigentlich so viele Menschen den November derart abgrundtief hassen, dass sie in Depressionen verfallen oder gar ihrem Leben ein Ende setzen.
Marietta – ihren außergewöhnlichen Vornamen hat sie einem Buch zu verdanken, das ihrer Mutter während der Schwangerschaft in die Hände gefallen ist – scheint irgendwie aus der Art geschlagen. Sie liebt diesen Monat. Sie liebt den Regen, die Feuchtigkeit und die Morgennebel, die oft so dicht in den Straßen wabern, dass die Häuser gegenüber auf der anderen Straßenseite nur noch als vage Schemen zu erkennen sind Ja, sie liebt sogar die wilden Novemberstürme, denen die letzten bunten Blätter, die sich bis dorthin noch an den Ästen festklammert haben, zum Opfer fallen.
Warum das so ist, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht ist es einfach die Zeitspanne zwischen Sommer und Winter. Wenn der Sommer in den letzten Zügen liegt, der Winter sich aber noch nicht zu seiner vollen Kraft entfaltet hat. Dann kehrt Ruhe ein. Ruhe vor dem hektischen Advent mit seiner Geschenkejagd, der Plätzchenbäckerei und den leidigen Familientreffen, die gerade in der Vorweihnachtszeit Hochkonjunktur haben.
Ein anderer Grund ist, dass sie nun endlich keine Ausrede mehr erfinden muss, wenn sie keine Lust hat, sich aufs Rad zu schwingen, einen bleischweren Rucksack durchs Gebirge zu schleppen oder den Gartengrill nach einer ausgiebigen Fete zu schrubben. Sie ist gerne zu Hause. Die ständigen Verpflichtungen, die schönes Wetter nun einmal mit sich bringen, sind ihr eher lästig. Nein, das regnerische, nasse Novemberklima hat unbestritten seine Vorteile!
Das T-Shirt ist repariert und wirkt durch die glitzernden Pailletten wie neu, richtig edel. Als nächstes nimmt sie ein Paar Socken ihres Mannes in Angriff, um sie zu stopfen. Auch wenn ihre Freundinnen das spießig finden und niemand in ihrem Bekanntenkreis so eine alberne Tätigkeit noch ausübt. Socken sind schließlich spottbillig. Doch Marietta musste in ihrem Leben oft mit so wenig Geld auskommen, dass es eine schiere Notwendigkeit war, zerrissene Sachen nicht gleich wegzuwerfen. Diese Gewohnheit hat sie beibehalten.
Inzwischen ist die CD abgelaufen. Bevor sie aufstehen und Kenny Rogers eine Chance geben kann, sie mit seiner Musik zu erfreuen, wird die Wohnzimmertüre aufgerissen.
„Marietta, ich brauche dich.“ Wolfgang wischt seine völlig verdreckten Finger seelenruhig an seiner hellen Hose ab. „Ich hab den Keller ausgemistet, und jede Menge zum Wegwerfen gefunden. Das steht jetzt alles im Gang. Wir müssen zum Wertstoffhof fahren!“
„Jetzt?“ fragt Marietta entgeistert. „Bei diesem Sauwetter?“
„Es geht nicht anders. Sonst kommen die Nachbarn nicht mehr in ihren Keller!“
„Na super!“ Marietta wirft den halbfertigen Strumpf aufs Sofa. „Vielleicht hättest du doch lieber den Garten umgraben sollen!“
© Christine Rieger / 2014
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rina.p (Donnerstag, 01 November 2018 17:10)
Hehe - so rächt sich das. Den Mann zum Aufräumen verdonnert und dann muss sie doch raus in die Kälte.
Ich bin allerdings auch eher der Sommermensch. Obwohl ich Nebel, bunte Blätter und co auch toll finde - nur die Kälte...brrr, die mag ich gar nicht.
Szenen einer Ehe. Sehr realistisch beschrieben.
LG
Rina.
https://geschichtszauberei.wordpress.com/
Veronika (Donnerstag, 01 November 2018 18:01)
Ich mag das neblige Herbstwetter auch sehr. Man kann sich daheim ungeniert einkuscheln.
Liebe Grüße, Veronika
corly (Freitag, 02 November 2018 10:47)
Huhu,
oha, na dann fand sie den November wohl doch nur schön, wenn sie drinnen ist, aber schöne Idee. Die Geschichte hat mir gefallen.
LG Corly
Christine (Samstag, 03 November 2018 12:14)
Ganz herzlichen Dank für Eure Kommentare!
Ich freue mich sehr, dass meine Geschichte Euch gefallen hat und wünsche Euch ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
Christine
Nicole (Mittwoch, 21 November 2018 13:27)
Liebe Christine,
also ich stimme Marietta zu: ich mag sowohl den November (wie alle anderen Monate übrigens auch) und auch Jonny Cash. Vielleicht sollte ich mich einmal an einem nebligen, regnerischen Novembertag mit ihr treffen!
Danke für die schöne Geschichte, ich freu mich auf weitere!
Liebe Grüße
Nicole